Gründen ist out - Mittelstand von morgen fehlt
04.07.2016
Der Nachwuchs für den Mittelstand wird knapp. Seit fünf Jahren nimmt das Gründungsinteresse in Deutschland ab. Das zeigt der aktuelle DIHK-Gründerreport. Erforderlich für eine Trendumkehr sind aus DIHK-Sicht durchgreifender Bürokratieabbau und bessere Bedingungen für den Einsatz von Risikokapital.
Gründungsinteresse auf neuem Tiefpunkt
Im
Jahr 2015 haben die Industrie-und Handelskammern (IHKs) rund 205.000
Gespräche mit gründungsinteressierten Personen geführt. Das sind zehn
Prozent weniger als im Vorjahr und bedeutet einen neuerlichen
Negativrekord. Seit 2004 hat sich das Gründungsinteresse praktisch
halbiert. Ein Grund dafür ist die Verringerung der Gründungen aus der
Erwerbslosigkeit heraus – spiegelbildlich zum erfreulichen Rückgang der
Arbeitslosenzahlen. Gerade in Deutschland ist dieser Zusammenhang
besonders stark.
Kaum neues Potenzial erschlossen
Die
Anzahl derjenigen, die vornehmlich aus unternehmerischem Antrieb an den
Start gehen, ist in den letzten Jahren aber ebenfalls leicht gesunken.
Zusätzliches unternehmerisches Potenzial konnte mithin unter dem Strich
nicht gehoben werden – trotz zahlreicher Förderprogramme. Eine Wende
können auch die viel beachteten innovativen Start-ups nicht bewirken –
dieses Segment ist noch immer zu klein. Zudem sind Gründer schlechter
vorbereitet: Im Jahr 2015 haben sich nicht einmal zwei Drittel der
Gründer im ausreichendem Maße Gedanken zum Kundennutzen ihrer
Geschäftsidee gemacht – weniger als in den beiden Jahren zuvor (70
respektive 72 Prozent). Über ein Viertel können ihre Produktideen nicht
klar beschreiben, ebenfalls mehr als in den vergangenen beiden Jahren.
So drohen zahlreiche Gründungsvorhaben allein an unzureichender
Vorbereitung zu scheitern.
Viele Frauen sind gründungsinteressiert, doch längst nicht alle gründen
Immerhin
42 Prozent aller Gründungsgespräche haben die IHKs 2015 mit Frauen
geführt – die Tendenz bleibt hier steigend. Doch viele gehen dann
letztlich doch nicht den Schritt in die Selbstständigkeit. Die meisten
sehen zudem die Herausforderung, Familie und Erwerbstätigkeit zu
vereinbaren, und wollen deshalb oft nur im Nebenerwerb starten.
Bürokratie abbauen, Finanzierung erleichtern, Eltern Freiräume ermöglichen
Um
Anreize für eine Existenzgründung zu schaffen, muss das von der
Bundesregierung geplante zweite Bürokratieentlastungsgesetz spürbare
Erleichterungen mit sich bringen. Dazu gehören eine vierteljährliche –
statt monatliche – Umsatzsteuervoranmeldung, die Abschaffung des
komplizierten Steuerformulars „EÜR“ (Einnahmenüberschussrechnung) zur
Überschussermittlung für kleine Unternehmen sowie die Anhebung der
Grenze für die Abschreibung geringwertiger Wirtschaftsgüter von 410 auf
1.000 Euro. Das wäre gerade für Gründer, die die erste Ausstattung anschaffen, eine erhebliche Erleichterung.
Weiterhin
bestehen hohe Hürden im deutschen Steuerrecht für Investoren von
Beteiligungskapital. Das hemmt vor allem die so wichtigen innovativen
Start-ups. Deshalb sollten Verluste beim Einstieg eines Investors
künftig in den Folgeperioden zumindest steuermindernd berücksichtigt
werden können. Das würde Gründern den Zugang zu Investoren erleichtern.
Eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf kann Eltern helfen,
Gründungsprojekte zu verwirklichen. Der weitere Ausbau von
Ganztagsschule wäre deshalb auch für Selbstständige ein wichtiger
Schritt. Für mehr Gründergeist braucht die Gesellschaft eine
Willkommenskultur für neue Unternehmen. Denn offenbar haben die
zahlreichen politischen Initiativen der letzten Jahre kaum Früchte
getragen. Der Mittelstand von morgen braucht eine glaubwürdige
Gründungspolitik. Bei jeder wirtschaftspolitischen Entscheidung sollte
die Politik daher die Auswirkungen insbesondere auch auf junge
Unternehmen ins Kalkül ziehen.